Unterwegs auf der Alp.
Ein Tag auf der Alp Tarvisch
Heute ist Alpaufzug. Ich sitze oberhalb der Kirche Son Martegn und beobachte, wie die Kühe von den verschiedenen Höfen losmarschieren. Sie ziehen in die Berge, hinauf zu den knackig grünen und frischen Alpweiden, einem reich gedeckten Tisch voller seltener Köstlichkeiten.
Die Leitkuh legt ein flottes Tempo vor, nichts mit «pacific» zur Alp schlendern, denke ich. Den Kühen, Bauern, Helferinnen und Helfern steht ein dreistündiger Marsch zur Alp Tarvisch bevor.
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Familienleben auf der Alp
Hier oben darf ich die Hirtenfamilie kennenlernen: Martina und Philip, die strahlende Nathalie (1), den süssen, noch eher scheuen Gabriel (3) und ihren treuen Begleiter auf vier Pfoten, Frank (oder «Fränk», denn er kommt aus England). Für Martina und Philip, die aus dem Passeiertal im Südtirol stammen, ist es bereits die sechste Saison auf der Alp Tarvisch. Anfangs haben sie alles zu zweit erledigt, dieses Jahr begleitet sie der 20-jährige Patrick, ebenfalls aus dem Passeiertal, als Knecht. Sie alle empfangen mich mit der südtirolerischen Gastfreundschaft und ich verabrede mich mit ihnen, dass ich sie erneut besuchen werde, um das Alpleben hautnah mitzuerleben.
Mein Tag auf der Alp
Endlich ist es soweit, ein wunderbarer Sommertag. Mit dem Bike, einem vollgepackten Rucksack und voller Vorfreude ziehe ich Richtung Alp Tarvisch. Kaum habe ich die Waldgrenze passiert, sehe ich schon Martina. «Kannst gleich mitkommen», sagt sie. «Wir dürfen die Kühe holen» Diese weiden seelenruhig zwischen den blühenden Alpenrosen und dem gelben Enzian. «Ejah Kuseler, kim Kuseler», ruft Martina. «Ich liebe diese Momente und geniesse diese kleine Auszeit für mich». Patrick kommt auch und hilft mit, die «Mädels», zum Melkstand zu bringen. Und dann geht’s los: die ersten acht Kuhdamen nehmen ihren Platz ein.
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Unser zweites Zuhause
Zweimal pro Tag wird gemolken, frühmorgens und abends. Das Melken der 90 Kühe dauert ca. zwei Stunden, danach wird geputzt. «Gabriel ist unser Wassermeister», sagt Philip. Aus dem scheuen Gabriel wird plötzlich ein kleiner Spitzbube, eifrig und mit lachendem Gesicht spritzt er den Pflastersteinplatz ab, sodass auch ich nass werde. Anschliessend gibt’s Nachtessen. Martina hat ein feines «Muas» zubereitet, eine südtirolerische Spezialität – einfach köstlich!
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Während dem Essen reden wir übers Alpleben. «Seit ich zehn bin, war ich jedes Jahr mit meinen Eltern auf der Alp. Ein Leben ohne Alpzeit kann ich mir gar nicht vorstellen», sagt Philip. «Hier ist unser zweites Leben», ergänzt Martina mit einem Strahlen im Gesicht, «im Frühling steigt immer die Vorfreude auf die Alpzeit. Es ist zwar eine strenge Arbeit, aber die Ruhe und die Natur, die Tiere und dieser Frieden, den man – zum Beispiel jetzt gerade – empfindet, entschädigen für alle Anstrengungen.» Und auch Patrick gefällt es super auf der Alp: «Ich bin froh, kann ich die ganze Alpzeit hier verbringen, es ist eine schöne Abwechslung zu meinem Beruf als Maurer.»
Früh auf, spät zu Bett
Martina und Philipp lernten sich 2014 kennen, sie wurden ein Paar und machten sich sogleich auf die Suche nach einer Alp, die sie gemeinsam bewirtschaften können. Mit der Alp Tarvisch haben sie ihre Traumalp gefunden. «Im Frühling zähle ich die Tage, bis es endlich losgeht», sagt Philip. «Ich mag alles am Alpleben, auch das frühe Aufstehen und späte Zubettgehen. Ich bin es mir gewohnt, denn bis im letzten Herbst hatten wir Zuhause im Südtirol einen eigenen Hof.» Und wie ist das Alpleben mit Kindern? «Ganz anders, aber für uns war immer klar, dass wir weitermachen. Wir brauchen nun einfach Hilfe», erklärt Martina und nickt anerkennend und lächelnd Richtung Patrick. «Patrick war uns schon auf dem eigenen Hof immer eine grosse Hilfe».
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Nach dem Essen setzen wir uns nach draussen und geniessen die atemberaubende Abendstimmung. Die Kinder schlafen bereits. Die Kühe sind nebenan auf der Nachtweide. Einige liegen bereits, das Bimmeln der Kuhglocken wird immer weniger.
Melken im Dunkeln der Nacht
4 Uhr 15. Philipp klopft an meine Tür. Aufstehen! Schnell einen Kaffee und ab auf die Nachtweide, die Kühe holen. Völlige Dunkelheit, ein frischer Wind, das Tal liegt noch im Schlaf. Franks warme Hundeschnauze begrüsst mich. Patrick ist schon unterwegs, um die «Mädels» von der Nachtweide zu holen. Die Kühe stampfen über das taunasse Gras, sie wissen genau, dass es Zeit ist, um gemolken zu werden. Manche stehen freiwillig an, andere müssen wir treiben. «Bei dieser Kuh musst du dich nicht bemühen, egal was passiert, sie wird die Letzte sein», erklärt mir Patrick, als ich es nicht schaffe, sie zum Melkstand zu stossen.
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Nach dem Melken gibt’s ein reichhaltiges Frühstück, natürlich mit frischer Milch. Und dann müssen wir uns um die Kälber kümmern. Sind alle wohlauf? Bis unterhalb des Piz Arlos haben sich die jungen und temperamentvollen Wundernasen verstreut. Wir laufen und beobachten, zählen und zählen nochmals, bis wir alle zusammen auf 120 kommen. Alle Kälber sind wohlauf und ziemlich neugierig, was auch meine Kamera und ich zu spüren bekommen.
Schien wors bei enk auf dr Alm – angraztg fitg ed alla proxima.
- Seraina
Die Milchpipeline der Alp Tarvisch
Wussten Sie, dass die Milch von der Alp Tarvisch durch eine Pipeline direkt in die Käserei, die Caschareia Savognin, fliesst? Die Milchpipeline ist 2,8 Kilometer lang und überwindet einen Höhenunterschied von 766 Metern. Sie wurde im Jahr 1962 erstellt und ist damit die älteste Milchpipeline der Schweiz. Auf der Alp Tarvisch leeren Martina und Philip die frisch gemolkene Milch in eine grosse Wanne, dort wird sie gemessen und kann anschliessend ins Tal abfliessen. Damit die Milch auf dem langen Weg nicht zu Butter wird, hat die Leitung einen Durchmesser von lediglich 17 mm. Übrigens: Auch die Milch von der Alp Naladas fliesst durch eine Pipeline, die 4,1 km lang ist. Der Käse wird in der Käserei zum Savogniner Heumilchkäse verarbeitet.
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