Unterwegs in der Ferienregion.
Kaffee rösten in Bivio
Im alten Postgebäude von Bivio riecht’s nach frisch geröstetem Kaffee. Einfach herrlich, diese Röstaromen, am frühen Morgen fast schon ein göttlicher Duft. Der Raum ist liebevoll eingerichtet. Kaffeesäcke mit Bohnen stehen herum, auf einem Gestell reihen sich die Säckchen mit abgefülltem Bivio-Kaffee, nebenan liegt eine Waage, gegenüber glänzt eine Barista-Kaffeemaschine.
Und mitten im Raum thront die edle Kaffeeröstmaschine. Madeleine Wepener, von allen Maddy genannt, beobachtet, wie sich die grosse Rösttrommel dreht. Mit gekonntem Griff justiert sie immer wieder die Temperatureinstellungen. «Die Röstkurve einzuhalten, ist entscheidend», erklärt die Röstmeisterin. «Jede Kaffeesorte hat eine vordefinierte Temperaturentwicklung, die ich während dem Röstprozesses genau einhalten muss.» In Bivio ist Kaffeerösten Handwerk, das – neben einer grossen Portion Leidenschaft und einer Prise Verrücktheit – eine sorgfältige Arbeitsweise erfordert.
Gutes Rösten braucht Zeit
Der traditionelle Röstvorgang mit der Trommel dauert rund 20 Minuten. Das ist sehr lange und wirkt sich positiv auf das Kaffeearoma und den Säuregehalt aus. Die Bohnen werden durch Kontaktwärme regelmässig und sanft geröstet – nicht nur aussen, sondern auch schön in den Kern hinein. Zum Vergleich: Industriell hergestellter Kaffee wird meist nur zwei bis fünf Minuten geröstet, dies bei viel höheren Temperaturen im Heissluftverfahren. Die Bohnen bekommen so zwar eine schöne Farbe, aber der Kern wird kaum durchgeröstet bzw. die Aromavielfalt der Kaffeebohne wird nicht ausgeschöpft. Bivio setzt beim Rösten nicht nur auf Zeit, sondern auch auf Holz. Seit Kurzem ist nämlich ein neuer, holzbetriebener Kaffeeröster in Betrieb, was in der Schweiz eine Seltenheit ist.
Maddy erklärt: «Die allermeisten Röstereien arbeiten hierzulande mit Gas, weil das einfacher ist, schnell geht und komplett computergesteuert abläuft. Die Temperatur kann in Bruchteilen von Sekunden geregelt werden. Ein Kaffeeröster, der mit Holz betrieben wird, ist dagegen relativ träge und somit langsamer und auch schwieriger zu steuern.» Doch der Aufwand lohne sich, ist die Röstmeisterin überzeugt: «Die Röstung mit Holz ist sehr schonend und entfaltet unverwechselbare Aromen und milde Säuren. Und auch die Raucharomen haben durchaus einen positiven Einfluss auf die Kaffeequalität.»
Lokales Holz statt Gas
Der Grund, auf eine Holzfeuerung zu setzen, waren aber nicht zuletzt Nachhaltigkeitsüberlegungen, wie Maddy betont: «Es macht doch keinen Sinn, von irgendwoher Gas anliefern zu lassen, wenn Holz direkt vor der Tür wächst.» Nachhaltigkeit ist allgemein ein wichtiges Thema für die Bivio Rösterei. Der Rohkaffee stammt nur von nachhaltig produzierenden und sozial engagierten Partnern aus Brasilien, Guatemala und Indien. Das Motto von Bivio-Kaffee heisst «Rösten statt Rasten». Dieses hatte sich auch Maddy zu Herzen genommen, bevor sie sich entschied, im August 2022 von der Stadt Zürich ins beschauliche Sur im schönen Val Surses zu ziehen – mit Mann und zwei kleinen Kindern. Ein mutiger und einschneidender Entscheid. Ihre Bedingung war darum: eine neue, leistungsstärkere und schneller steuerbare Röstmaschine, um die wachsende Nachfrage auch sinnvoll bewältigen zu können. Schliesslich will Maddy Kaffee nicht nur zum Hobby rösten, sondern als Beruf mit langfristiger Perspektive. So kann sie heute in einer Stunde rund 30 Kilo Bohnen rösten, während es früher bloss deren vier waren.
Von der Käserin zur Rösterin
Eigentlich ist Maddy gelernte Käserin. Zur Kaffeerösterin wurde sie, da sie Pascal Uffer – einer der Gründer von Bivio-Kaffee – gut kannte. In Zürich war er quasi ihr Nachbar. Zudem kannte Sie Bivio als Dorf, da sie seit Kindertagen regelmässig zum Skifahren und Tourengehen hierherkam. Als dann die Rösterei im Sommer 2022 eine Nachfolge für den bisherigen Röstmeister suchte, kam Maddy ins Gespräch – und sie sagte spontan zu. Das Handwerk des Kaffeeröstens hat sie sich mit Learning by Doing angeeignet. «Ich verlasse gerne mal die Komfortzone und liebe es, neue Projekte anzupacken. So möchte ich noch viel mehr in die Kaffeewelt eintauchen und dazulernen.»
Fensterausschank zur Skipiste
Rösten statt Rasten ist wirklich ein passendes Motto für Maddy und das Team der Bivio Rösterei, wie auch ihr neustes Projekt für den kommenden Winter zeigt: ein Fensterausschank direkt aus der Rösterei zur angrenzenden Kinderskipiste hinter dem Haus. Im Angebot: feiner Bivio Kaffee, heisse Schoggi, Punsch und selbstgemachter Kuchen.
Wie die Post zur Rösterei wurde
Zurück in die Rösterei, wo Maddy nicht nur die Holzröstmaschine souverän bedient, sondern auch neugierige Kundschaft bewirtet. Geduldig und freundlich beantwortet sie Fragen zu Kaffee und zur Geschichte der Bivio Rösterei. Diese hat ihren Ursprung am 28. Januar 2020. Vier Bivio-Fans beschliessen zur späten Stunde und nach einigen Drinks in der Trapla Bar, aus der ehemaligen Post auf 1769m die höchstgelegene Kaffee-Rösterei Europas zu machen. Das Ziel: Grossartigen Kaffee, eine coole Story und ganzjährige Jobs ins Dorf zu bringen. Die Schnapsidee wird kurzerhand in die Tat umgesetzt. Mit Erfolg. Das Team der Bivio Rösterei besteht nach wie vor aus vier Personen. Maddy ist die «Tätschmeisterin» vor Ort und derzeit die einzige bezahlte Mitarbeiterin. Die anderen drei – Annelous (Grafik), Johannes (Finanzen) und Pascal (Geschäftsführung) – arbeiten und wohnen in Zürich, wo sie Bivio, die Berge und den Bügellift oft vermissen. Das Ziel ist, 2024 eine weitere Person anstellen zu können, die zusammen mit Maddy in der Rösterei arbeitet.
Text: Franco Furger und Bettina Bergamin
Fotos: Sascha Mayer
So nah dem Geschmack.
Kaffeetasting & Kaffee kaufen
Maddy erklärt Cupping (Kaffeeverkostung) und erzählt viel Spannendes zu Kaffee und Röstung. Daten ab Winter unter valsurses.ch/erlebnisse oder bereits auf Anfrage bei Maddy buchen: Tel. 079 395 93 98 oder maddy@bivio.coffee. Oder kommen Sie einfach in die Rösterei auf einen Kaffee vorbei an der Julierstrasse 18 in Bivio.